Sonntag, 18. März 2007

Erwartungen und Ziele

"...ich seh' unsere Kinder wachsen, hör' sie Fragen stell'n: könn' wir wirklich nicht mehr machen als die Tage zu zähln?" - Joy Denalane

Dieser Eintrag bezieht sich auch nicht direkt auf "Die Kunst des Liebens" von Erich Fromm. Vielmehr moechte ich eine Gedankenkette praesentieren, die mir bewusst geworden ist, als ich ueber das Problem der Ungewissheit nachdachte. Nach Fromm ist die Ungewissheit der Zukunft einer der Hauptgruende fuer Aengste und das Gefuehl der Isolation. Meiner Meinung nach ist dies vor allem deswegen so, weil es dabei um Erwartungen (und die eventuelle nicht-Erfuellung eben dieser) geht.

Auch Thomas Artmann hatte in seinem Essay das Erwartungs-Problem erwaehnt. Bei ihm ging es darum, dass man im Fall der Liebe etwas nicht tun sollte, nur weil man eine Gegenleistung dafuer erwartet. Vielmehr stellt eine Aktivitaet aus Liebe eine freiwillige und Erwartungslose Taetigkeit dar. Ich fragte mich also ob Fromm's Ungewissheit und das Erwartungs-Problem eventuell zusammenhaengen.

Wenn man Formm's Argumentation folgt, dann ist lediglich die Gegenwart wichtig, denn die Vergangenheit liegt hinter einem und laesst sich - wie allgemein bekannt ist - nicht mehr aendern. Ueber die Zukunft auf der anderen Seite ist ungewiss, nur der eigene Tod steht fest. Nur mit Entscheidungen im Jetzt laesst sich die Zukunft (zu einem gewissen Grad) beeinflussen. Natuerlich bestimmt eine Entscheidung nicht vollstaendig was passieren wird, denn schliesslich ist nichts vollkommen vorherbestimmt (es ist ja schliesslich noch nicht passiert) und statisch.
Nun steht man jedoch vor dem Dilemma, dass mit jeder Entscheidung auch eine Erwartung ueber das Resultat dieser Aktion verbunden wird. Meiner Meinung nach ist dies das groesste Problem der modernen westlichen Gesellschaft und der Grund dafuer, warum so viele Menschen ungluecklich sind. Die Erwartungslosigkeit sollte nicht nur in der Liebe angestrebt werden, sondern auch in allen anderen Bereichen des Lebens. Jeder kennt sicherlich das Gefuehl, wenn sich eine erwartete Reaktion einfach nicht einstellt. Man fuehlt sich traurig ueber die "Niederlage", Zweifel fuellen die Gedanken und eine Depression kann sich entwickeln. Geht man ohne eine Erwartung an eine Sache heran, dann kann dies nicht passieren, denn man wartet nicht auf etwas bestimmtes.
Natuerlich sollte man auch nicht einfach so in den Tag hereinleben, denn dann wuerde keine Taetigkeit Sinn machen. Ist dies ein Paradoxon? Meiner Meinung nach nicht, denn ich denke es gibt einen grossen Unterschied zwischen Zielen und Erwartungen! Ziele sind zeitlos waehrend Erwartungen zeitgebunden sind. Man koennte Ziele also als langzeitige und Erwartungen als kurzfristige Hoffnungen ansehen. Doch warum ist das eine jetzt besser (wenn so eine Kategorisierung ueberhaupt moeglich ist) als das andere? Meiner Meinung nach sind Ziele wegen ihrer Zeitlosigkeit besser, denn man hat sie zwar "im Hinterkopf", aber sie belasten nicht staendig die Gedanken im Hier und Jetzt. Die Erwartungen sind da anders, dadurch das man sie haeufig mit einem konkreten Datum in Verbindung bringt, muss viel Zeit dafuer investiert werden, dass dieser Meilenstein auch eingehalten wird.
Die Ironie dieser Situation ist, dass man haeufig blind fuer alternative Moeglichkeiten wird. Der Geist ist so sehr damit beschaeftigt die erwartete Reaktion zu erzeugen, dass einem andere Wege gar nicht mehr auffallen. Ich denke viele kennen diese Situation in der einen oder anderen Form.

Interessant ist nun natuerlich die Betrachtung aller moeglicher Ziel/Erwartungs Kombinationen:
* Erwartungen, Ziele = gestresster, ungluecklicher Mensch in der modernen westlichen Gesellschaft
* keine Erwartungen, Ziele = gluecklicher Mensch in der westlichen Gesellschaft
* Erwartungen, keine Ziele = jemand der einfach in den Tag lebt (Hedonist)
* keine Erwartungen, keine Ziele = buddhistischer Moench

Ziele zu bewahren und gleichzeitig jegliche Erwartungen hinter sich zu lassen ist - so denke ich - zwar sehr schwierig, aber letztendlich der einzige Weg wirklich gluecklich zu werden. Die beste Zeit hat man schliesslich immer dann, wenn etwas positives vollkommen ueberraschend und unerwartet eintritt. Dies ist sicherlich kein Geheimnis, aber nur selten denkt man darueber nach, warum das so ist. Probiert es doch mal, tut einfach was nettes und ungewoehnliches fuer euren Partner oder einen andern lieben Menschen und beobachtet was passiert...